Tiefenentspannung mit Anleitung

https://www.timeout.com/tokyo/health-and-beauty/chiyonoyu
https://www.timeout.com/tokyo/health-and-beauty/chiyonoyu

30.09.2017

Gestern vor genau eineinhalb Jahren wurde aus meinem japanischen Mitbewohner ploetzlich mein Lieblingsjapaner. Ziemlich verrueckt, wie lange das schon wieder her ist... wenn das mal kein guter Grund fuer Bananenpfannkuchen zum Fruehstueck und abends schoen Essen gehen ist (wieso dreht sich bei uns eigentlich immer alles ums Essen?). Zwischen diesen zwei Tageshighlights rief fuer den Lieblingsjapaner aber dann doch wieder die taegliche Laborverpflichtung. Ich habe es mir trotzdem gut gehen lassen und bin einer meiner liebsten japanischen Aktivitaeten nachgegangn: dem Sento/Badehaus-Besuch. So viel Charme lokale, alte Sentos oft haben, so sehr kann ich mich auch fuer moderne Architektur begeistern. In Tokyo gibt es eine Reihe Sentos, die vor einigen Jahren vom japanischen Architekten Kentaro Imai renoviert wurden und eine besonders schoene Architektur haben. In einem dieser Sentos war ich vor einigen Wochen schon mal, gestern habe ich mir ein weiteres angeschaut. Entsprechend tiefenentspannt war ich dann fuer unser darauffolgendes Abendessen :)

Aber wie genau besucht man eigentlich ein Sento oder einen Onsen?

https://www.timeout.com/tokyo/health-and-beauty/okurayu
https://www.timeout.com/tokyo/health-and-beauty/okurayu

Tausend Tipps hatte ich mir vor meinem ersten Japanbesuch im Internet durchgelesen, trotzdem war ich so aufgeregt, dass ich in irgendein Fettnaepfchen treten wuerde. Gut, dass beim ersten Onsenbesuch die Lieblingsjapanermama dabei war und alles vormachen konnte. Wer nicht so eine Lieblingsjapanermama als Vorbild hat, fuer den ist diese kleine "Anleitung".

 

Ein Onsen oder Sento besteht fuer gewoehnlich aus einem Eingangsbereich mit Warteraum, zwei Umkleideraeumen und zwei Waschraeumen mit Waschgelegenheiten und mehreren Becken, meist etwa zwischen 36 und 44 Grad warm. Oft gibt es auch eine Sauna, ein Becken mit kaltem Wasser zum Abkuehlen oder Becken mit verschiedenen "Besonderheiten" wie Kraeutern im Wasser. Betritt man ein solches Bad kommt man als erstes in einen Vorraum mit kleinen Schliessfaechern in der Wand. Diese Faecher sind fuer die Schuhe gedacht. Danach geht es struempfig weiter in den Aufenthaltsraum, in dem man den Eintritt bezahlt. Oft reicht es schon der Person hinter dem Tresen mit den Fingern "1 Person" zu signalisieren. Japanischkenntnisse braucht man dafuer also nicht. Die werden aber spaetestens beim Betreten des

https://blue-works.com/jprail
https://blue-works.com/jprail

eigentlichen Badebereichs notwendig. Bis auf wenige Ausnahmen werden Sentos und Onsen geschlechtergetrennt besucht, deswegen sollte man unbedingt vermeiden, den falschen Eingang zu benutzen. Die Eingaenge sind meistens ganz Geschlechts-stereotyp mit roten Vorhaengen fuer Frauen und blauen Vorhaengen fuer Maenner gekennzeichnet. Ausserdem sollte man sich im Vorhinein die Kanji 女 fuer "Frau" und 男 fuer "Mann" gut einpraegen. Wenn man sich unsicher ist, hilft aber auch ein fragender Blick Richtung Kasse, auf den meist ein Zeigen zum korrekten Eingang folgt. Im richtigen Umkleideraum angekommen, sucht man sich ein freies Schliessfach oder einen Regalplatz und verstaut seine Dinge, inklusive jeglicher Kleidung. Denn ja, ein solches Bad wird (bis auf wenige Ausnahmen) komplett nackt besucht. Das mag vielleicht erst ungewohnt sein, nach einigen Minuten im Bad legt sich die erste Scheu nach eigener Erfahrung allerdings schnell. So viele Alter und Koerperformen treffen im Bad aufeinander, dass man mit dem eigenen Koerper wirklich nicht mehr heraussticht. Ausserdem sind die Japaner*innen Meister im "Nicht-hinschauen", was dazu fuehrt, dass man sich gar nicht erst beobachtet fuehlen muss. Mit ins Bad nimmt man nur Shampoo und Duschgel und was man sonst noch so braucht zur Koerperpflege, einen Haargummi fuer lange Haare, ein kleines Handtuch/einen Waschlappen und wenn man moechte eine Wasserflasche mit kaltem Wasser. 

http://patrickchadd.blogspot.jp/2012/01/trip-to-onsen.html
http://patrickchadd.blogspot.jp/2012/01/trip-to-onsen.html

Im Badebereich angekommen holt man sich zuerst einen kleinen Plastik- oder Holzhocker und eine Schuessel, die entweder schon an den Waschplaetzen stehen oder neben dem Eingang aufbewahrt werden. Damit ausgeruestet sucht man sich eine freie Waschgelegenheit. Diese bestehen aus etwa huefthoch angebrachten Spiegeln mit Wasserhahn und Duschkopf, denn im Badehaus waescht man sich im Knien oder Sitzen. Nachdem man seinen Hocker abgebraust hat, setzt man sich vor den Spiegel und waescht sich. Typischerweise verwendet man zum Einseifen das kleine Handtuch oder den Waschlappen und entfernt dann jegliche Duschgelreste indem man sich mit Hilfe der Schuessel mit Wasser uebergiesst. (Jetzt weiss ich auch warum die Japaner fuer "duschen" das Verb "abiru" also "uebergiessen" verwenden) Nach dem Waschen bindet man bei Bedarf die Haare hoch, spuelt den Hocker und die Schuessel ab und stellt sie an ihren urspruenglichen Platz. Dann verstaut man das eigene Shampoo und Duschgel entweder in einem bereitgestellten Regal oder an den Rand der Waschgelegenheiten um Platz fuer neue Besucher zu machen. Das kleine Handtuch kann man sich, wenn man moechte beim Herumlaufen im Bad umbinden oder vor sich halten. Sobald man ein Becken betritt verstaut man das Handtuch bei seinem Shampoo, bindet es sich um den Kopf oder legt es gefaltet auf dem eigenen Kopf ab. Ab diesem Moment heisst es dann Zuruecklehnen und Entspannen. :) Anschliessend geht man zurueck zu den Waschgelegenheiten und waescht sich ausgiebig. Ich habe wie bereits erwaehnt noch nie erlebt, dass sich Menschen so ausgiebig waschen, wie in einem japanischen Badehaus. Fuer viele Japaner*innen nimmt der Waschvorgang tatsaechlich den groesseren Teil der Besuchszeit ein, als der eigentlich Besuch der Becken. Wichtig dabei scheint zu sein, dass es ordentlich schaeumt. Ich habe schon Japanerinnen beobachtet, die sich in regelrechte "Schneefrauen" verwandelt haben ;) Abgesehen von sich zu waschen, ist es ebenfalls ueblich sich an den Waschgelegenheiten einzucremen, zu rasieren, Haarmasken aufzutragen oder Zaehne zu putzen. Wichtig ist, den Platz danach wieder so zu hinterlassen, wie man ihn vorgefunden hat. Bevor man zurueck in den Umkleideraum geht, wringt man das eigene Handtuch so gut es geht aus und trocknet sich notduerftig damit ab, um nicht tropfnass in den Umkleideraum zu gehen. Danach kann man sich im Umkleideraum foehnen und fertig machen. Bei vielen Japaner*innen beliebt ist (warum auch immer) sich danach im Aufenthaltsraum ein Paeckchen Milch zu kaufen und noch einigen Minuten in den bereitgestellten Sofas oder Baenken zu entspannen. 

Ziemlich gut ist...

www.contentedtraveller.com
www.contentedtraveller.com

- Vor, waehrend und nach dem Badbesuch genug trinken um Schwindelattacken zu vermeiden

- Anderen Besuchern eines Beckens beim Betreten freundlich zunicken und dadurch eventuell ein nettes Gespraech einleiten

- Eigenes Shampoo und Duschgel mitbringen, weil nicht alle Baeder gratis Shampoo bereitstellen

- Den eigenen Platz sauber hinterlassen und alles aufraeumen

- Lange Haare hochbinden, dass sie nicht ins Wasser haengen

- Wenn das Wasser zu heiss ist, sich kurz am Kaltwasserhahn des Beckens abkuehlen und ihn dann wieder abdrehen

- Trotz Nacktheit entspannt bleiben und das Badehauserlebnis geniessen :)

Vermeiden sollte man...

https://www.worldnomads.com/explore/eastern-asia/japan/onsen-etiquette
https://www.worldnomads.com/explore/eastern-asia/japan/onsen-etiquette

- Mit Duschgelresten am Koerper das Becken betreten

- Badekleidung tragen

- Mit dem kleinen Handtuch das Wasser des Beckens beruehren

- Beim Waschen andere Besucher*innen nassspritzen

- Im Becken planschen und spritzen

- Im Bad laut rufen oder uebermaessig laut reden

- Im Bad oder Umkleideraum ein Handy oder eine Kamera verwenden, auch wenn es nur fuer eine SMS ist

- Das Becken ungewaschen betreten oder das Bad ungewaschen verlassen

- Manche Baeder erlauben wegen Japans Geschichte mit der "Yakuza" keine Gaeste mit Tattoos beziehungsweise muessen diese eventuell mit Pflastern abgedeckt werden. Ist man sich unsicher, ist es am Besten einfach nachzufragen

 

Kurz gesagt sollte man bei einem Badehausbesuch einfach hoeflich bleiben, anderen Besucher*innen keine Umstaende bereiten und wenn man sich unsicher ist, einfach nachmachen was die "Locals" im Badehaus so treiben. Um der japanischen Kultur ein bisschen naeher zu kommen, kann ich den Besuch eines (oder vieler ;)) Onsen und Sentos nur empfehlen. Selten wird man so offen und freundlich empfangen wie in einem solchen Bad, ausserdem gibt es nichts entspannenderes als das Bad in einem der warmen Becken. Viel Spass euch dabei! :)

Beste Gruesse, deine

- Isabella


Kommentar schreiben

Kommentare: 0