Meine japanische "kazoku"

09.10.2017

Über das Aufeinandertreffen von Familie und Freund/Freundin/Partner/Lebensabschnittsgefährten gibt es gruselig-schlechte Filme wie "Das Schwiegermonster" und noch viel gruseligere echte Geschichten auf diversen Blogs und Foren im Internet. Davon ist auch nicht der erste Kontakt zwischen der japanischen "kazoku" (Familie) und dem/der (ausländischen) "gaikokujin" Freund*in ausgenommen. Im Internet werden gerade japanische Schwiegereltern häufig als altmodisch-traditionell, steif oder streng beschrieben. Es kursieren sogar ganze Listen mit Tipps zu Kleidung, Gesprächsthemen und Verhaltensweisen im Internet, die im Umgang mit der kazoku unbedingt eingehalten werden sollen - den Rock bis zum Knie, immer schön verbeugen und ja nicht über Fukushima diskutieren. Die Familiengeschichten die der Lieblingsjapaner mir erzählt hat, haben so gar nicht mit diesem Bild zusammen gepasst und die halbe Stunde in der ich Schwester und Mama getroffen habe, als der Lieblingsjapaner noch einfach nur mein Mitbewohner war, wirkte auch irgendwie ganz anders. Trotzdem stellt man dann vor dem ersten "richtigen" Treffen ja doch seine Google-Recherchen an (zumindest mache ich das so...). Ganz verunsichert von all diesen Listen und Geschichten, wusste ich dann letztes Jahr im Herbst, als der Lieblingsjapaner das erste Mal mit Mama nach Deutschland gekommen ist, gar nicht so richtig wie ich mich verhalten soll. Diese Bedenken wurden glücklicherweise durch das überschwänglich-herzlich-lustige Wesen der Lieblingsjapanermama schnell über Bord geworfen. Darauffolgende Treffen mit ihr, der Lieblingsjapanerschwester und dem Lieblingsjapanerbruder haben diese Erfahrung nur noch weiter bestätigt. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht sind Japaner aber auch einfach genauso Individuen wie du und ich und man sollte sich nicht von herumkursierenden Horrorgeschichten verrückt machen lassen. 

Wie bereits im letzten Blogeintrag erwähnt, konnte ich diese Woche während der Exkursion des Lieblingsjapaners bei der Mama Zuhause unterkommen und sie so nochmal besser kennen lernen. Sie war herzlich und energetisch und großzügig und lustig wie eh und je, hat mit Händen und Füßen jede Sprachbarriere zunichte gemacht und mir bestimmt Fünf Kilo in Maronencremetörtchen angefüttert. Das ist meistens wahnsinnig schön und manchmal auch ein bisschen viel und anstrengend. Wobei aufgedrehte Lieblingsjapanermamas wirklich sehr gut zur Abreise-Traurigkeits-Ablenkung geeignet sind, deswegen war das eigentlich ein gutes Angestrengtheits-Gefühl. 

Schön und Anstrengend zugleich ist da zum Beispiel, wie ich von der stolzen Mama überall herumgezeigt werde, und jetzt drei Cousinen, eine Großcousine, einen Großcousin, die Nachbarn mit Kindern, das andere Nachbarsehepaar, die Arbeitskollegen, den Schulfreund des älteren Sohnes und die ehemalige Kollegin mit Tochter kenne. Tatsächlich kenne ich jetzt Familienmitglieder des Lieblingsjapaners, die er selbst noch nie getroffen hat. Alle vorhanden Kinder wurden dabei stets gezwungen, an mir ihre drei Sätze Englisch zu üben und ein Erinnerungsfoto wurde auch immer geschossen. Es freut mich schon, dass sie anscheinend so stolz auf mich ist, manchmal tun mir aber auch ein bisschen die Leute leid, die sich meine halbe Lebensgeschichte anhören müssen, ob sie nun wollen oder nicht. Insgesamt aber ein gutes Gefühl, so viel von der Lebensumwelt der Lieblingsjapaner-Kazoku mitzukommen. 

Dabei werde ich entweder als die deutsche (!) VEGETARIERIN (!!) vorgestellt, oder aber als die nette, ehemalige Mitbewohnerin des Sohnes. Das Word "kanojo" (Freundin) wurde von der Lieblingsjapanermama nie verwendet. Die meisten meiner japanischen Bekanntschaften hat das wohl etwas verwirrt. Denn wieso sollte ich 1. plötzlich Japanisch lernen 2. dreimal im Jahr nach Japan fliegen und 3. eine Woche alleine mit seiner Mama verbringen, wenn der Lieblingsjapaner einfach nur mein ehemaliger Mitbewohner wäre? Von einer Nachbarin wurde ich sogar hinter vorgehaltener Hand gefragt, warum genau ich eigentlich hier sei? Ich habe sie aufgeklärt, dass mein ehemaliger Mitbewohner dazu auch noch mein "kareshi" (Freund) ist, worauf sie mich erstaunt fragte ob die Mama das eigentlich wüsste, mit mir und dem Lieblingsjapaner...? Ich glaube schon, habe ich geantwortet, aber ganz so sicher war ich mir dann selbst nicht mehr. 

An meinem letzten Abend kurz vorm Schlafen gehen, kam die Lieblingsjapanermama dann auf einmal zu mir und meinte, wir müssten jetzt als gebührenden Abschluss meines Besuchs ein Minifeuerwerk mit Wunderkerzen im Garten abhalten. Flüsternd, um die Nachbarn nicht zu wecken und kichernd wie Teenagermädchen haben wir dann tatsächlich gemeinsam eine gesamte Packung Wunderkerzen abgebrannt. Das war ein wunderbarer Abschluss. Und dann hat die Lieblingsjapanermama auf einmal zu mir gesagt, ich sei jetzt auch Teil ihrer Kazoku und hat mich gedrückt. Das war so schön, meine Augen waren wohl plötzlich ein bisschen feuchter als sonst. Ich glaube, sie weiß das doch mit mir und dem Lieblingsjapaner...


Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Julia (Dienstag, 30 Januar 2018 03:24)

    Ich finde einige dieser Tips ziemlich selbstverständlich und gar nicht Japan-spezifisch. In Deutschland würde ich auch nicht beim ersten Treffen mein heißestes Outfit anziehen und über die AfD diskutieren. (Gut, wenn die Schwiegereltern AfD-Anhänger wären, würde ich da gar nicht hingehen.)
    Lustigerweise hat meine Schwiegermutter mich nie vorgezeigt, obwohl sie immer sehr nett zu mir war und extra vegetarisch gekocht hat, aber als mich einmal eine Nachbarin gesehen hat, meinte sie, ich wäre eine "Freundin" ihrer Kinder - dabei war ich damals über drei Jahre mit ihrem Sohn zusammen und wir hatten 15 Monate zusammen gelebt, bevor uns wieder die Ferne getrennt hat. Jetzt sind wir verheiratet und sie will mich unbedingt in ihren Kimono stopfen für Fotos. :D

  • #2

    Isabella (Sonntag, 04 März 2018 15:28)

    Oooh, deinen Kommentar habe ich völlig übersehen, entschuldige!
    Und du hast Recht, auf die meisten dieser Tipps kommt man auch, wenn man seinen gesunden Menschenverstand benutzt ;)
    Verrückt, dass du nach 15 Monaten zusammenleben immer noch nur die "Freundin" warst, das hat sich mit eurer Hochzeit hoffentlich geändert :P